Montag, 25. November 2019

Landrat vor Ort (26) - Key Note zur Digitalisierung aus kommunaler Sicht


 

Kongress Kommunal. Digital im November 2019 in Würzburg.
 

Key-Note zur Digitalisierung aus kommunaler Sicht

Wir leben derzeit in einer schwierigen, anspruchsvollen Phase unserer Gesellschaft, denn unsere Zeit ist geprägt davon, dass die Mehrheit der Menschen für die Zukunft sowohl persönlich als auch global betrachtet Schlechteres als gegenwärtig zu erleben befürchtet.

Mit Ursache für diesen verbreiteten Zukunftspessimismus sind verschiedene parallel verlaufende Entwicklungen, die diese Negativ-Erwartung fördern:

·      die Globalisierung,

·      die Digitalisierung,

·      die Klimakatastrophe, sind drei prägende, dramatische, einschneidende Veränderungsprozesse.

Fachleute vergleichen die digitale Revolution unserer Lebens- und Arbeitswelt mit der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert. Vergegenwärtigen wir uns die umwälzenden, dramatischen Veränderungen im vorletzten Jahrhundert für das Leben eines jeden einzelnen Menschen, können wir zum einen die Sorgen der Menschen verstehen, zum anderen uns aber auch bewusstmachen, dass die Digitalisierung nicht ein Geschehen ist, das wir im Vorübergehen abhandeln.

Trotz oder auch gerade wegen der steigenden Vorbehalte gegen Politik im Allgemeinen und ihre Prozesse in einer demokratischen und freien Gesellschaft, kommt der Politik die besondere Verantwortung zu, Sicherheit und Zuversicht zu vermitteln. Dies gelingt im Besonderen dadurch, dass Politik zeigt, dass die Veränderungsprozesse bewusst und gezielt gestaltet werden.

Dies gilt im Besonderen für den Prozess der Digitalisierung, der im Erleben durch den einzelnen Menschen alles bietet von Zukunftsoptimismus – alles wird besser und leichter J - bis zum Gefühl, erdrückt und fremdbestimmt zu werden. Politik muss zeigen, dass sie diesen Veränderungsprozess nicht nur beherrscht, sondern auch aktiv gestaltet, beeinflusst im Sinne des Menschen.

Ein hoher Anspruch, erleben die Menschen doch gerade eher, dass Politik großen Veränderungsprozessen in diesem Jahrzehnt, von der Globalisierung mit scheinbar unbeherrschbaren Märkten bis zur Klimakatstrophe eher handlungsunfähig gegenübersteht. Gerade wegen der aktuellen Vertrauenskrise bietet damit der Prozess der Digitalisierung sogar die Chance für die Politik, Handlungsfähigkeit, also Gestaltungskraft zu beweisen, und zwar von

·      der europäischen Ebene mit dem noch zu setzenden Regelungsrahmen für die Digitalisierung auf europäisch über

·      die Bundes- und Landesebene allen aktuellen Problemen mit schwarzen Löchern und weißen Flecken zum Trotz bis zur

·      kommunalen Ebene, weil wir am Ende in den Landkreisen und Gemeinden am nächsten zu den Menschen sind und gerade die Umsetzung der Verwaltung 4.0 zu verantworten haben.

Der Kommunalpolitik kommt damit – auch wenn sie die äußeren Rahmen-bedingungen dieser Entwicklung nicht beeinflussen kann – eine besondere Möglichkeit zu, die Lücke zwischen dem Veränderungsprozess an sich und dem Erleben durch den Menschen zu schließen.

Aus Sicht der kommunalen Gebietskörperschaften möchte ich dies an unserem Kerngeschäft, der Verwaltung, konkretisieren. Damit dürfen wir aber nicht vergessen, dass Bürgermeister und Landräte sich nicht wegducken dürfen bei allen anderen Fragen der Digitalisierung, denn das weiß jede Bürgermeisterin, jeder Bürgermeister, zuständig sind wir für alles:

·      so für die Diskussion der möglichen Gesundheitsrisiken von Mobilfunkmasten oder WLAN in Gemeinden und Schulen mit dem Bedürfnis der Versachlichung und Kriterien für den wissenschaftlichen Diskurs,

·      oder für Aspekte der Digitalisierung in der Pflege und im Gesundheitswesen, deren Möglichkeiten ebenso wie deren Risiken; hier heißt es eben für uns als kommunal Verantwortliche nicht nur auf das Passieren zu warten, sondern die Akteure, die in Zukunft besser vernetzt werden können, wie z.B. Krankenhaus, niedergelassene Ärzt*innen und Pflegeeinrichtungen an einen Tisch zu holen.

·      Dies gilt ebenso für die Auswirkungen auf unsere Unternehmen und Betriebe. Am Bayerischen Untermain haben wir hier zum einem im Rahmen der von Landkreis und Stadt Aschaffenburg sowie Landkreis Miltenberg verantworteten Regionalinitiative Bayerischer Untermain Projekte aufgestellt und umgesetzt:

o   Förderung der Vernetzung der Unternehmen im Prozess der Digitalisierung in unserem Innovations- und Kompetenzzentrum ZENTEC

o   Schaffung einer Plattform namens Innovationskommission Digitalisierung mit den 3 Gebietskörperschaften, den Kammern, Unternehmen, Agentur für Arbeit, TH bis Berufsschulen sowie – ganz wichtig – die Gewerkschaften!

o   Hieraus entstand, um ein konkretes Beispiel zu nennen, die Schaffung einer „Bildungsinitiatorin“, die aktiv auf Betriebe und Unternehmen zugeht und Impulse und Unterstützung leisten wird bei der Weiterqualifizierung der Fachkräfte.

Das bedeutet zunächst, dass neben den Kernaufgaben einer Verwaltung die Digitalisierung viele neue Aufgaben für die Kommunalpolitik definiert. So können wir im Landkreis Miltenberg eben nicht tatenlos zuschauen, wie wir in Anbetracht von fast 50% Anteil der fast 44.000 sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze ein „hohes Substituierungspotential“ wegen der Digitalisierung aufweisen.

Bereits hier sehen wir, welche Herausforderung die Digitalisierung der Lebens- und Arbeitswelt bedeutet, und erst jetzt komme ich – ohne bisher etwas zum Bereich der Bildung gesagt zu haben – zu unserem Kerngeschäft Verwaltung:

„Nicht die Bürgerinnen oder Bürger sollen laufen, sondern ihre Daten.“

So umschreiben führende Landes- und Bundespolitiker gerne die Digitalisierung der Verwaltung. Verpflichtet werden Gemeinden, Städte und Landkreise durch das Onlinezugangsgesetz dazu, alle Verwaltungsdienstleistungen bis Ende 2022 auch digital anzubieten, bequem, sicher und medienbruchfrei. Der bayerische Weg ist per se noch ambitionierter, er sieht in enger Kooperation mit dem Bayerischen Landkreistag das Angebot von mindestens 21 wichtigen Behördengängen digital vor. Für Investitionen hierfür gibt es ein Förderprogramm.

Trotz der ambitionierten Ziele plädiere ich für ein überlegtes, gut durchdachtes und wie bisher gut abgestimmtes Vorgehen, denn das Thema ist sehr komplex. Wer meint, er muss unbedingt als erster im Hauruck-Verfahren durchs Ziel gehen, wird merken, dass dabei schnell viel Geld verbrannt wird, wenn jeder einzelne das Rad neu erfinden will. Gemeinsam heißt die Lösung.

Auch weil es am Ende praktikabel sein soll, denn die Menschen erwarten gerade bei den Genehmigungsverfahren Lösungen auf einer Plattform. Jeder, der bundesweit ÖPNV nutzt, weiß, was ich meine angesichts der unbegrenzten Vielfalt an Mobilitäts-Apps. Irgendwo, und zwar spätestens auf der Benutzer-Oberfläche eines mobilen Endgerätes, hat die Vielfalt ihre Grenzen. Und hier kann ich ja sogar noch nachvollziehen, ob ich in München oder in Nürnberg, im MVV oder im VAB bin, aber spätestens bei digitalen Genehmigungsverfahren interessiert den Bürger*in nicht mehr, ist dafür jetzt Gemeinde oder Landkreis oder welche Behörde auch immer zuständig.

Deshalb ist es in Bayern der richtige Weg, zum einen die 21 wichtigsten Verwaltungsgänge und zum anderen das enorm komplexe digitale Baugenehmigungsverfahren in enger Kooperation mit dem Bayerischen Landkreistag bzw. dessen Innovationsring, der vor über 20 Jahren in Miltenberg gegründet wurde, gemeinsam zu digitalisieren. An ersterem Projekt arbeitet der Landkreis Aschaffenburg mit, am Projekt des digitalen Baugenehmigungsverfahren unser Landkreis Miltenberg.

Gerade unsere Arbeit am digitalen Baugenehmigungsverfahren zeigt, dass Digitalisierung nicht die digitale Abbildung eines bekannten analogen Verfahrens bedeutet, sondern dass tatsächlich der gesamte Prozess neu durchdacht und strukturiert werden muss. Zudem ist die Voraussetzung wirklicher Sinnhaftigkeit der digitalen Anträge, dass der gesamte Prozess in der Verwaltung medienbruchfrei, also digital geschieht. Das heißt, DokumentenManagementSystem, eRechnung, eAkte usw.

Hier setzen wir, d.h. der Landkreis Miltenberg und auch ich persönlich, zum einen auf die enge und gute Arbeit im Innovationsring des Bayerischen Landkreistags und auf unseren kommunalen Dienstleister, die AKDB (die Anstalt für Kommunale Datenverarbeitung in Bayern).

Was ist notwendig, dass die digitalen Behördengänge gelingen werden?

·      Voraussetzungen in den Behörden für den digitalen Workflow; neben den internen Voraussetzungen wie DokumentenManagementSystem, eRechnung und eAkte sowie einer modernisierten Homepage (derzeit im Projekt) brauchen wir hier auch einheitliche Qualitätsstandards für die Schnittstellen zwischen unterschiedlichen Software-Lösungen.

·      Voraussetzungen für den digitalen Austausch zwischen den Behörden.

·      Erleichterung der digitalen Authentifizierung – hier bin ich gespannt, ob dem digitalen Personalausweis doch noch mit einer erleichterten Anwendung über AusweisApp2 der Durchbruch gelingt.

·      Schließung der „schwarzen Löcher“ und „weißen Flecken“ in der digitalen Versorgung, damit alle Bürgerinnen und Bürger auf die Lösungen ab Ende 2020 zurückgreifen können.

Bevor wir uns jetzt aber gleich den handwerklichen und technischen Fragen zuwenden, möchte ich nochmal den Blick aufs Große und Ganze werfen:

Was erwarten die Menschen von uns?

Ein Blick auf die Menschen (Studie Digital Government Barometer 2018“):

·      67% der Bundesbürger*innen haben Sorge, dass bei Online-Behördengängen während der Eingabe Dritte auf ihre persönlichen Daten zugreifen können.

·      60% befürchten, dass die Daten für andere Zwecke als ursprünglich gedacht genutzt werden.

·      57% der Bürger*innen vertrauen darauf, dass Behörden alle Möglichkeiten ausschöpfen, um Daten ausreichend vor unbefugtem Zugriff zu schützen.

·      35% haben latent Zweifel an den Sicherheitsvorkehrungen.

·      58% der Bürger*innen haben die Sorge, dass bei der Einführung der digitalen Verwaltung die Beratungsqualität im analogen, also echten Kontakt nachlässt.

Was bedeutet das für uns? Fünf Thesen stelle ich auf:

·      Verwaltung muss in Zukunft digital & analog anbieten – der menschliche Zugang, das Vertrauen in die Person aus Fleisch und Blut bleibt unersetzlich!

·      Beim Thema Sicherheit & Datenschutz dürfen wir uns keine Nachlässigkeiten erlauben! Der Staat muss hier für Verlässlichkeit und Vertrauen stehen.

·      Da hier die Anforderungen sehr hoch sind, brauchen wir nicht nur die Unterstützung durch eine insgesamt sehr gute Sicherheitsinfrastruktur bayern-, bundes- und europaweit, sondern in der Umsetzung auch die Zusammenarbeit vor Ort: Im Landkreis Miltenberg kooperieren Landkreis und Gemeinden sowohl bei der Umsetzung des Datenschutzes oder bei der digitalen Ausstattung der Schulen als auch perspektivisch bei der IT-Sicherheit.

·      Die kommunalen Verwaltungen bleiben das „Gesicht“ des Staates für unsere Bürger*innen. Die digitalen Angebote sind Grundlage dafür, dass wir für unsere Bürger*innen die Zeit haben für eine individuelle Beratung.

·      Wir brauchen die Grundlagen für eine medienbruchfreie Kommunikation zwischen den Behörden und einheitliche Standards für Schnittstellen unterschiedlicher Software-Lösungen anstelle zentralistisch einheitlicher Angebote.
 
Ich freue mich, wenn wir ergänzend zu bestehenden Angebote wie der Online-Kfz-Zulassung ab Winter 2020 wichtige Verwaltungsvorgänge komplett digital anbieten zu können.
Warm anziehen nur wegen des Wetters, die Digitalisierung gehen wir optimistisch und tatkräftig an!



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