Die erste Arbeitssitzung eines Ausschusses - Jugendhilfe und die Auswirkungen der Pandemie
Jugendamt in der Pandemie
Alle
Abteilungen des Landratsamts spüren die Einschränkungen, auch das Jugendamt. Laut
dessen Leiter Rüdiger Rätz hätten unter anderem die Schließungen aller Schulen
und Kindertageseinrichtungen das Amt beschäftigt. Die Problemlagen seien nahezu
täglich zwischen der Regierung von Unterfranken, dem Bayerischen
Landesjugendamt und den Jugendämtern besprochen worden, so Rätz. Die Krise habe
Auswirkungen auf nahezu alle 17 Fachdienste im Sachgebiet Kinder, Jugend und
Familie gehabt. So habe es großer Anstrengungen bedurft, um die Notbetreuung
der Kinder in Zusammenarbeit mit den Kindergärten zu kommunizieren und zu organisieren.
Die Jugendsozialarbeiter*innen seien zunächst vornehmlich im Homeoffice
eingesetzt worden, in anderen Bereichen der Jugendhilfe, zur Unterstützung des
Allgemeinen Sozialen Dienstes und vor allem im Gesundheitsamt in der Quarantäneüberwachung
und am Bürgertelefon. Rätz wie auch Landrat Jens Marco Scherf lobten diese hohe
Flexibilität ausdrücklich. „Sie haben fantastische Arbeit geleistet“, stellte
der Landrat fest. Durch die Quarantäne der Kinder in den Familien habe der
direkte Kontakt der ASD-Mitarbeiter*innen zu den Kindern und Jugendlichen
gefehlt, erklärte Rätz. Dennoch habe man den Kontakt zu Familien, Fachkräften,
Trägern und Heimen gehalten und in Einzelfällen Kinder und Jugendliche in
Notbetreuung verwiesen. Rätz zufolge sei man im Rahmen des präventiven
Kinderschutzes aktiv auf Eltern zugegangen, auch habe man Kontaktdaten für
Online-Beratung, Nottelefone und Online-Chats kommuniziert.
Beteiligung junger Menschen - vor und in der Pandemie!
Stillstand in der Jugendarbeit
Dass
Kinder und Jugendliche von den Kontakteinschränkungen besonders betroffen sind,
erklärte Alison Wölfelschneider vom Kreisjugendring und bedauerte den „absoluten
Stillstand in der Jugendarbeit.“
Ständig fragten Kinder, Jugendliche sowie Helferinnen und Helfer, wann wieder
etwas möglich sei, „aber es gibt keine zufriedenstellenden Antworten.“ Die in
den Jugendverbänden Tätigen fühlten sich übergangen, fasste sie die
Krisenstimmung in Worte. „Das Virus stellt alles in Frage“, nahm Landrat Jens
Marco Scherf Stellung. Dass es noch keine Antworten auf viele Fragen gebe, sei
keine Böswilligkeit der Politik, „aber wir wissen immer noch nicht alles über
das Virus.“ Dennoch sei es wichtig, dass die Kinder und Jugendlichen
wahrgenommen werden, stellte er klar und signalisierte die Bereitschaft, gemeinsam
mit dem Kreisjugendring ein Konzept zu entwickeln, wie die jungen Menschen ihre
Fragen und Gefühlslagen ausdrücken können – etwa in Form von Bildern, Aufsätzen
und sonstigen künstlerischen Darstellungen. „Auch wenn es auf viele Fragen
leider noch keine Antwort gibt, ist es wichtig, dass die Sorgen und Nöte, dass
der Blickwinkel der jungen Menschen wahrgenommen wird“, betonte Landrat Scherf.
„Wann
offene Jugendarbeit wieder möglich ist, steht zurzeit in den Sternen“,
bedauerte auch Kreisjugendpfleger Helmut Platz, in Bayern ist die aktuelle
Infektionsschutzmaßnahmenverordnung nur bis zum 29. Mai gültig. Hoffentlich
gibt es danach Perspektiven für die Jugendarbeit, formulierte Landrat Scherf.
Familienbildungskonzept weitergeschrieben
Einstimmig
sagte das Gremium Ja zur Fortschreibung
des Familienbildungskonzeptes für den Landkreis für die nächsten vier
Jahre. Dabei geht es um das bayerische Förderkonzept „Strukturelle
Weiterentwicklung der Familienbildung und Einrichtung von
Familienstützpunkten“, an dem der Landkreis seit 2014 teilnimmt. Darin geht es
laut Claudia Joos (Landratsamt) um den bedarfsgerechten Ausbau von Familienbildungsangeboten
in Kooperation mit verschiedenen Anbietern für Familien mit Kindern bis zum
Alter von drei Jahren, alleinerziehende Eltern, Familien mit Kindern mit
Hilfebedarf, Familien mit Kindern in der Pubertät und Familien, die schwer
erreichbar sind. Bewährte Angebote sollen erhalten und neue Angebote entwickelt
werden, die Angebote sollen in Wohnortnähe stattfinden und in Kooperation mit
vertrauten Einrichtungen erfolgen. Die Öffentlichkeitsarbeit und die Vernetzung
sollen ebenfalls vorangetrieben werden. Die Familienstützpunkte sollen ihre
Angebote stetig mit Blick auf die Bedarfe und Interessen der Familien ausbauen.
Um das Konzept fortzuschreiben, habe man den Bestand und die Bedarfe erfasst
und diese im Netzwerk diskutiert, erklärte Joos.
Informationen
aus vielen Bereichen des Jugendamts haben die Mitglieder des
Jugendhilfeausschusses bei ihrer ersten Sitzung der neuen Legislaturperiode am
Montag bekommen.
Vielfältige Angebote des Allgemeinen Sozialen Dienstes
So
stellte die Leiterin des Allgemeinen Soziale Dienstes (ASD), Judith Appel,
dessen Kernaufgaben vor: Beratung und Betreuung von Kindern, Jugendlichen und
Familien, eingreifende Tätigkeiten sowie die Mitwirkung in Verfahren vor dem
Familiengericht. Als größte Herausforderung nannte sie zum einen die Hilfe und
Begleitung von Familien, zum anderen die Kontrolle und das Eingreifen. Dieser
Spagat zwischen Beratung und Kinderschutz werde oft negativ bewertet, so Appel.
Sie stellte die große Bedeutung der Prävention vor und nannte viele Hilfen zur
Erziehung und ein breites Angebot freiwilliger Hilfen des Jugendamts. Man wolle
in erster Linie Hilfe zur Selbsthilfe leisten und Familien unterstützen,
erklärte sie und listete Angebote wie Erziehungsberatung, sozialpädagogische
Familienhilfe, Möglichkeiten von Tagesgruppen und Tagespflege sowie
Vollzeitpflege und Heimerziehung vor, wenn dies nötig ist. Allerdings habe das
Jugendamt auch einen Schutzauftrag, wenn es gewichtige Anhaltspunkte für eine
Kindeswohlgefährdung gibt. In solchen Fällen erarbeite man zunächst ein
Schutzkonzept, das tiefergehende Maßnahmen verhindern soll wie die Herausnahme
des Kindes aus der Familie. Notfalls werde das Familiengericht eingeschaltet
und ein Kind auch gegen den Willen der Eltern in Obhut genommen, sagte Appel.
Dabei gehe es immer darum, die richtige Entscheidung für Kinder und Eltern zu
treffen.
Fachdienst Jugendgerichtshilfe
Annika
Zimmermann stellte die Jugendgerichtshilfe/Jugendhilfe
im Strafverfahren vor. Seit September 2018 gibt es im Landkreis hierfür eine
eigene Stelle im Bereich des ASD. Die Stelleninhaberin ist für die Amtsgerichte
Obernburg, Miltenberg und Aschaffenburg wie auch das Landgericht in
Aschaffenburg tätig, ihre Zielgruppe sind straffällige Jugendliche, deren
Eltern sowie Heranwachsende. Sie alle werden im Gerichtsverfahren begleitet und
hinsichtlich Unterstützungsangeboten beraten. Ziel sei es Zimmermann zufolge,
der Straffälligkeit entgegenzuwirken und „Täterarbeit zu leisten.“ Die
Jugendhilfe im Strafverfahren unterstütze die beteiligten Behörden durch
Erforschung der Persönlichkeit, der Entwicklung und des familiären, sozialen
und wirtschaftlichen Hintergrunds, auch äußere man sich zur einer möglichen
besonderen Schutzbedürftigkeit und zu ergreifenden Maßnahmen.
Jugendkriminalität ziehe sich durch alle Schichten, wusste Zimmermann, pro
Jahrgang gebe es rund sechs Prozent Intensivtäter. Die Jugendhilfe im
Strafverfahren sei gestärkt worden, indem sie nach einer Gesetzesänderung früher
und verbindlicher in das Verfahren eingebunden sei. Das führe dazu, dass man
die bisherigen Prozesse anpassen und eine Konzeption erstellen müsse. Sie
selbst habe im vergangenen Jahr 300 Verfahren begleitet, sagte Zimmermann.
Kinderschutz verbessert
Als
„äußerst wichtig“ hat Jugendamtsleiter Rüdiger Rätz die Einrichtung einer interdisziplinären Kinderschutzgruppe für die
Region I am Klinikum Aschaffenburg bezeichnet. In einer Vereinbarung haben
Klinikum sowie die Jugendämter von Stadt Aschaffenburg und der Landkreise
Miltenberg und Aschaffenburg ihre Zusammenarbeit bei Verdachtsfällen von
Kindesmissbrauch und Kindeswohlgefährdung beschlossen. Ziele seien schnelles
und abgestimmtes Handeln, fachübergreifende professionelle Diagnostik und
Behandlung. Gemeinsam soll zudem die Weiterbetreuung festgelegt werden. Seit
Dezember 2019 sei Svenja Haußner neue Koordinatorin der Kinderschutzgruppe am
Klinikum. Ein erster runder Tisch mit Fachbereichsleitungen der Jugendämter und
Vertretern der Kinderschutzgruppe habe bereits stattgefunden. Haußner habe sich
bereits mit der Arbeit im Klinikum vertraut gemacht, Hospitationen in den
Jugendämtern sollen folgen. „Missbrauch kommt in allen gesellschaftlichen
Schichten vor“, forderte Landrat Jens Marco Scherf zu genauem Hinsehen auf.
Frühe Hilfen etabliert
„Es
läuft sehr gut“, freute sich Iris Neppl (Koordinierende Kinderschutzstelle)
über die Arbeit der 2018 gestarteten Bundesstiftung
Frühe Hilfen. In Bayern werden vor allem der Einsatz und die Qualifizierung
von Familienhebammen und vergleichbarer Berufsgruppen aus dem
Gesundheitsbereich sowie Strukturen des Ehrenamts gefördert. Dabei geht es vor
allem um einen niedrigschwelligen und frühen Zugang zu belasteten Eltern mit
Säuglingen und Kleinkindern. Seit 2020 bemesse sich die Förderung nach der
Anzahl lebend geborener Kinder im Landkreis, bezogen auf das Vorjahr. Das
bedeute für den Landkreis, dass in diesem Jahr lediglich 48.600 Euro Förderung
eingehen gegenüber 52.000 Euro im Vorjahr. Diese Summe soll in erster Linie
Einzelfallhilfen abdecken und nicht Ehrenamtsmaßnahmen wie etwa das Projekt
„wellcome“. So hätten die Gesamtkosten für die Frühen Hilfen im vergangenen
Jahr bei 77.300 Euro gelegen – aufgeteilt in 57.000 Euro für Einzelfallhilfe
und 20.000 Euro für „wellcome“. Finanziert habe man diese Summe durch die Bundesförderung
von 52.000 Euro, zusätzlich bewilligte 16.000 Euro sowie 9.300 Euro aus
Jugendhilfemitteln. Man wolle versuchen, auch in diesem Jahr Mittel bei der
Bundesstiftung nachzubeantragen, kündigte Neppl an – eine Zusage sei aber nicht
garantiert. Deshalb überlege man, aus dem „wellcome“-Projekt ein eigenständiges
Angebot aus Jugendhilfemitteln zu machen.
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