Dienstag, 26. Mai 2020

Kreistag Miltenberg: Erste Sitzung des Jugendhilfeausschusses



Ein Bild aus der guten alten Vor-Corona-Zeit: Fachtagung zur Partizipation junger Menschen im Landkreis Miltenberg. Ein Zwischenbericht zum Projekt Zukunft wurde im Jugendhilfeausschuss am 25. Mai 2020 vorgestellt und diskutiert!



Die erste Arbeitssitzung eines Ausschusses - Jugendhilfe und die Auswirkungen der Pandemie



 
Am 11. Mai hat der Kreistag sich für die am 1. Mai begonnene Sitzungsperiode 2020 bis 2026 konstituiert, am 25. Mai tagte der erste Fachausschuss: der Jugendhilfeausschuss! Die Corona-Pandemie hat auch Auswirkungen auf das Landratsamt. Besucher*innen kommen eigentlich nur mit Termin und sie müssen sich am Eingang anmelden, um dort ihre Kontaktdaten zu hinterlassen. Ausnahme: Die Sitzungen des Kreistags und seiner Ausschüsse sind öffentlich, doch auch die Kapazitäten sind begrenzt: im großen Sitzungssaal waren am Montag bei der Sitzung des Jugendhilfeausschusses viele Stühle gesperrt, um den Abstand zu gewährleisten.


Jugendamt in der Pandemie



Alle Abteilungen des Landratsamts spüren die Einschränkungen, auch das Jugendamt. Laut dessen Leiter Rüdiger Rätz hätten unter anderem die Schließungen aller Schulen und Kindertageseinrichtungen das Amt beschäftigt. Die Problemlagen seien nahezu täglich zwischen der Regierung von Unterfranken, dem Bayerischen Landesjugendamt und den Jugendämtern besprochen worden, so Rätz. Die Krise habe Auswirkungen auf nahezu alle 17 Fachdienste im Sachgebiet Kinder, Jugend und Familie gehabt. So habe es großer Anstrengungen bedurft, um die Notbetreuung der Kinder in Zusammenarbeit mit den Kindergärten zu kommunizieren und zu organisieren. Die Jugendsozialarbeiter*innen seien zunächst vornehmlich im Homeoffice eingesetzt worden, in anderen Bereichen der Jugendhilfe, zur Unterstützung des Allgemeinen Sozialen Dienstes und vor allem im Gesundheitsamt in der Quarantäneüberwachung und am Bürgertelefon. Rätz wie auch Landrat Jens Marco Scherf lobten diese hohe Flexibilität ausdrücklich. „Sie haben fantastische Arbeit geleistet“, stellte der Landrat fest. Durch die Quarantäne der Kinder in den Familien habe der direkte Kontakt der ASD-Mitarbeiter*innen zu den Kindern und Jugendlichen gefehlt, erklärte Rätz. Dennoch habe man den Kontakt zu Familien, Fachkräften, Trägern und Heimen gehalten und in Einzelfällen Kinder und Jugendliche in Notbetreuung verwiesen. Rätz zufolge sei man im Rahmen des präventiven Kinderschutzes aktiv auf Eltern zugegangen, auch habe man Kontaktdaten für Online-Beratung, Nottelefone und Online-Chats kommuniziert.


Beteiligung junger Menschen - vor und in der Pandemie!

 
Kreisjugendpfleger Helmut Platz stellte das „Projekt Zukunft“ vor, das Kinder und Jugendliche im Landkreis mehr in das Gemeinwesen einbeziehen will. Er erklärte die Bausteine des Konzepts, in dem Kinder und Jugendliche ihre Sicht ihrer Gemeinde artikulieren können – etwa durch eine Befragung oder eine Gemeindebegehung. Die Ergebnisse werden von der Kommunalen Jugendarbeit ausgewertet und den Verantwortlichen in den Gemeinden vorgestellt. Das Projekt wurde bereits erfolgreich in Leidersbach, Klingenberg, Mönchberg und Elsenfeld umgesetzt, berichtete Platz und freute sich über konkrete Auswirkungen wie etwa die Sanierung eines Spielplatzes und die Eröffnung eines Jugendtreffs. Es habe sich gezeigt, dass das Projekt straff umgesetzt werden müsse, so Platz, dann funktioniere das Konzept. Bis zu drei Gemeinden pro Jahr seien möglich, sagte er und verwies auf die Homepage des Landratsamts, wo unter https://jugendarbeit.kreis-mil.de/kommunale-jugendarbeit/projekte/projekt-zukunft/ alle Informationen gebündelt sind. Für Landrat Jens Marco Scherf ist die Beteiligung der Jugend ein wichtiger Faktor für die Zukunft der jungen Menschen und der Kommunen.



Stillstand in der Jugendarbeit





Dass Kinder und Jugendliche von den Kontakteinschränkungen besonders betroffen sind, erklärte Alison Wölfelschneider vom Kreisjugendring und bedauerte den „absoluten Stillstand in der Jugendarbeit.“ Ständig fragten Kinder, Jugendliche sowie Helferinnen und Helfer, wann wieder etwas möglich sei, „aber es gibt keine zufriedenstellenden Antworten.“ Die in den Jugendverbänden Tätigen fühlten sich übergangen, fasste sie die Krisenstimmung in Worte. „Das Virus stellt alles in Frage“, nahm Landrat Jens Marco Scherf Stellung. Dass es noch keine Antworten auf viele Fragen gebe, sei keine Böswilligkeit der Politik, „aber wir wissen immer noch nicht alles über das Virus.“ Dennoch sei es wichtig, dass die Kinder und Jugendlichen wahrgenommen werden, stellte er klar und signalisierte die Bereitschaft, gemeinsam mit dem Kreisjugendring ein Konzept zu entwickeln, wie die jungen Menschen ihre Fragen und Gefühlslagen ausdrücken können – etwa in Form von Bildern, Aufsätzen und sonstigen künstlerischen Darstellungen. „Auch wenn es auf viele Fragen leider noch keine Antwort gibt, ist es wichtig, dass die Sorgen und Nöte, dass der Blickwinkel der jungen Menschen wahrgenommen wird“, betonte Landrat Scherf.


„Wann offene Jugendarbeit wieder möglich ist, steht zurzeit in den Sternen“, bedauerte auch Kreisjugendpfleger Helmut Platz, in Bayern ist die aktuelle Infektionsschutzmaßnahmenverordnung nur bis zum 29. Mai gültig. Hoffentlich gibt es danach Perspektiven für die Jugendarbeit, formulierte Landrat Scherf.




Familienbildungskonzept weitergeschrieben





Einstimmig sagte das Gremium Ja zur Fortschreibung des Familienbildungskonzeptes für den Landkreis für die nächsten vier Jahre. Dabei geht es um das bayerische Förderkonzept „Strukturelle Weiterentwicklung der Familienbildung und Einrichtung von Familienstützpunkten“, an dem der Landkreis seit 2014 teilnimmt. Darin geht es laut Claudia Joos (Landratsamt) um den bedarfsgerechten Ausbau von Familienbildungsangeboten in Kooperation mit verschiedenen Anbietern für Familien mit Kindern bis zum Alter von drei Jahren, alleinerziehende Eltern, Familien mit Kindern mit Hilfebedarf, Familien mit Kindern in der Pubertät und Familien, die schwer erreichbar sind. Bewährte Angebote sollen erhalten und neue Angebote entwickelt werden, die Angebote sollen in Wohnortnähe stattfinden und in Kooperation mit vertrauten Einrichtungen erfolgen. Die Öffentlichkeitsarbeit und die Vernetzung sollen ebenfalls vorangetrieben werden. Die Familienstützpunkte sollen ihre Angebote stetig mit Blick auf die Bedarfe und Interessen der Familien ausbauen. Um das Konzept fortzuschreiben, habe man den Bestand und die Bedarfe erfasst und diese im Netzwerk diskutiert, erklärte Joos.


Informationen aus vielen Bereichen des Jugendamts haben die Mitglieder des Jugendhilfeausschusses bei ihrer ersten Sitzung der neuen Legislaturperiode am Montag bekommen.


Vielfältige Angebote des Allgemeinen Sozialen Dienstes

 

So stellte die Leiterin des Allgemeinen Soziale Dienstes (ASD), Judith Appel, dessen Kernaufgaben vor: Beratung und Betreuung von Kindern, Jugendlichen und Familien, eingreifende Tätigkeiten sowie die Mitwirkung in Verfahren vor dem Familiengericht. Als größte Herausforderung nannte sie zum einen die Hilfe und Begleitung von Familien, zum anderen die Kontrolle und das Eingreifen. Dieser Spagat zwischen Beratung und Kinderschutz werde oft negativ bewertet, so Appel. Sie stellte die große Bedeutung der Prävention vor und nannte viele Hilfen zur Erziehung und ein breites Angebot freiwilliger Hilfen des Jugendamts. Man wolle in erster Linie Hilfe zur Selbsthilfe leisten und Familien unterstützen, erklärte sie und listete Angebote wie Erziehungsberatung, sozialpädagogische Familienhilfe, Möglichkeiten von Tagesgruppen und Tagespflege sowie Vollzeitpflege und Heimerziehung vor, wenn dies nötig ist. Allerdings habe das Jugendamt auch einen Schutzauftrag, wenn es gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung gibt. In solchen Fällen erarbeite man zunächst ein Schutzkonzept, das tiefergehende Maßnahmen verhindern soll wie die Herausnahme des Kindes aus der Familie. Notfalls werde das Familiengericht eingeschaltet und ein Kind auch gegen den Willen der Eltern in Obhut genommen, sagte Appel. Dabei gehe es immer darum, die richtige Entscheidung für Kinder und Eltern zu treffen.


Fachdienst Jugendgerichtshilfe



Annika Zimmermann stellte die Jugendgerichtshilfe/Jugendhilfe im Strafverfahren vor. Seit September 2018 gibt es im Landkreis hierfür eine eigene Stelle im Bereich des ASD. Die Stelleninhaberin ist für die Amtsgerichte Obernburg, Miltenberg und Aschaffenburg wie auch das Landgericht in Aschaffenburg tätig, ihre Zielgruppe sind straffällige Jugendliche, deren Eltern sowie Heranwachsende. Sie alle werden im Gerichtsverfahren begleitet und hinsichtlich Unterstützungsangeboten beraten. Ziel sei es Zimmermann zufolge, der Straffälligkeit entgegenzuwirken und „Täterarbeit zu leisten.“ Die Jugendhilfe im Strafverfahren unterstütze die beteiligten Behörden durch Erforschung der Persönlichkeit, der Entwicklung und des familiären, sozialen und wirtschaftlichen Hintergrunds, auch äußere man sich zur einer möglichen besonderen Schutzbedürftigkeit und zu ergreifenden Maßnahmen. Jugendkriminalität ziehe sich durch alle Schichten, wusste Zimmermann, pro Jahrgang gebe es rund sechs Prozent Intensivtäter. Die Jugendhilfe im Strafverfahren sei gestärkt worden, indem sie nach einer Gesetzesänderung früher und verbindlicher in das Verfahren eingebunden sei. Das führe dazu, dass man die bisherigen Prozesse anpassen und eine Konzeption erstellen müsse. Sie selbst habe im vergangenen Jahr 300 Verfahren begleitet, sagte Zimmermann.


Kinderschutz verbessert



Als „äußerst wichtig“ hat Jugendamtsleiter Rüdiger Rätz die Einrichtung einer interdisziplinären Kinderschutzgruppe für die Region I am Klinikum Aschaffenburg bezeichnet. In einer Vereinbarung haben Klinikum sowie die Jugendämter von Stadt Aschaffenburg und der Landkreise Miltenberg und Aschaffenburg ihre Zusammenarbeit bei Verdachtsfällen von Kindesmissbrauch und Kindeswohlgefährdung beschlossen. Ziele seien schnelles und abgestimmtes Handeln, fachübergreifende professionelle Diagnostik und Behandlung. Gemeinsam soll zudem die Weiterbetreuung festgelegt werden. Seit Dezember 2019 sei Svenja Haußner neue Koordinatorin der Kinderschutzgruppe am Klinikum. Ein erster runder Tisch mit Fachbereichsleitungen der Jugendämter und Vertretern der Kinderschutzgruppe habe bereits stattgefunden. Haußner habe sich bereits mit der Arbeit im Klinikum vertraut gemacht, Hospitationen in den Jugendämtern sollen folgen. „Missbrauch kommt in allen gesellschaftlichen Schichten vor“, forderte Landrat Jens Marco Scherf zu genauem Hinsehen auf.


Frühe Hilfen etabliert

 

„Es läuft sehr gut“, freute sich Iris Neppl (Koordinierende Kinderschutzstelle) über die Arbeit der 2018 gestarteten Bundesstiftung Frühe Hilfen. In Bayern werden vor allem der Einsatz und die Qualifizierung von Familienhebammen und vergleichbarer Berufsgruppen aus dem Gesundheitsbereich sowie Strukturen des Ehrenamts gefördert. Dabei geht es vor allem um einen niedrigschwelligen und frühen Zugang zu belasteten Eltern mit Säuglingen und Kleinkindern. Seit 2020 bemesse sich die Förderung nach der Anzahl lebend geborener Kinder im Landkreis, bezogen auf das Vorjahr. Das bedeute für den Landkreis, dass in diesem Jahr lediglich 48.600 Euro Förderung eingehen gegenüber 52.000 Euro im Vorjahr. Diese Summe soll in erster Linie Einzelfallhilfen abdecken und nicht Ehrenamtsmaßnahmen wie etwa das Projekt „wellcome“. So hätten die Gesamtkosten für die Frühen Hilfen im vergangenen Jahr bei 77.300 Euro gelegen – aufgeteilt in 57.000 Euro für Einzelfallhilfe und 20.000 Euro für „wellcome“. Finanziert habe man diese Summe durch die Bundesförderung von 52.000 Euro, zusätzlich bewilligte 16.000 Euro sowie 9.300 Euro aus Jugendhilfemitteln. Man wolle versuchen, auch in diesem Jahr Mittel bei der Bundesstiftung nachzubeantragen, kündigte Neppl an – eine Zusage sei aber nicht garantiert. Deshalb überlege man, aus dem „wellcome“-Projekt ein eigenständiges Angebot aus Jugendhilfemitteln zu machen.




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