Mittwoch, 3. November 2021

Resolution zum Klimaschutz; Bayerischer Landkreistag

Die diesjährigen Flut- und Unwetterkatastrophen haben die Auswirkungen des Klimawandels in einem noch nicht dagewesenen Maße auch in Deutschland spürbar gemacht. Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass man an der „Schwelle epochaler Veränderungen steht: Nicht nur irgendwo in der Welt, sondern ganz konkret in Deutschland und auch in Bayern“. Die auf europäischer, nationaler und bayerischer Ebene vereinbarten Ziele und angedachten Maßnahmen zum Klimaschutz sowie zur Energiewende sind infolge substantieller Natur; sie werden erhebliche Anstrengungen mit sich bringen und einen tiefgreifenden Einfluss auf das Leben der Menschen vor Ort und die lokalen und regionalen Handwerksbetriebe und Unternehmen haben. Bei der Umsetzung der Klimaziele muss darauf geachtet werden, dass die notwendigen Maßnahmen in Einklang gebracht werden mit wirtschaftlicher Entwicklung, Sicherung des Wohlstands, industrieller Wertschöpfung, sozialem Augenmaß sowie - mit Blick auf die mehr als neun Millionen Menschen, die in Bayern im kreisangehörigen Raum leben - nicht zuletzt dem Verfassungsziel gleichwertiger Lebensverhältnisse in Stadt und Land.

Klimaschutz ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und erfordert globale Lösungsansätze. Gleichwohl sind Landrätinnen und Landräte zentrale Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner vor Ort. Die Landkreise werden weiterhin ihren Anteil zur Erreichung der Klimaziele und Energiewende leisten, indem sie beim Klimaschutz und bei der Nutzung von erneuerbaren Energien weiter aktiv vorangehen. In Anerkennung ihrer Verpflichtung für die nachfolgenden Generationen sowie zur Positionierung mit Blick auf kommende Gesetzgebungsmaßnahmen auf EU-, Bundes- und Landesebene verabschiedet der Bayerische Landkreistag folgende

Resolution zum Klimaschutz

Die bayerischen Landkreise

  1. sind sich ihrer Verantwortung zur Erreichung der Ziele des Pariser Klimaschutz-Abkommens und den davon abgeleiteten Zielen des europäischen Green Deals, der Bundesregierung sowie der Bayerischen Staatsregierung bewusst. Sie heben hervor, dass die Landkreise bereits heute durch vielfältige Maßnahmen einen nachhaltigen Beitrag zum Klimaschutz leisten und im eigenen Wirkungskreis sowie im Rahmen der ihnen zugewiesenen Aufgaben auch zukünftig als verlässlicher und engagierter Partner am Gelingen der Klima- und Energiewende substantiell mitwirken. 

  2. unterstützen hierzu die Grundsätze von Technologieoffenheit, marktwirtschaftlichen Lösungen und der notwendigen Verzahnung unterschiedlicher Instrumente, den Ausbau eines sektorenübergreifenden Emissionshandels- und Anreizsystems sowie die Einführung eines CO2-Grenzausgleichssystems nach europäischen Vorgaben. Sie plädieren dafür, dass der vorgesehene Mechanismus dahingehend beschränkt wird, dass Ausgleichszahlungen nur so weit gehen dürfen, wie Maßnahmen des Klimaschutzes zur CO2-Minderung konkret beitragen. Darüber hinaus muss auch im Bereich der Exporte durch geeignete Maßnahmen sichergestellt werden, dass es zu keinen Wettbewerbsverzerrungen kommt.

  3. begrüßen den Vorschlag zur Verbesserung der Informationen und von Anreizen zur Erhöhung der nationalen Renovierungsquoten und unterstützen Maßnahmen zur langfristigen Dekarbonisierung von Gebäuden ebenso wie die Einführung einheitlicher europäischer Standards, die erstmals eine europaweite Vergleichbarkeit des Gebäudebestands gewährleisten. Fortlaufende Überwachungs- und Berichtspflichten werden demgegenüber ebenso kritisch gesehen wie starre Renovierungsquoten. Zusätzliche Bürokratie trägt weder zur Erreichung der Klimaziele bei, noch schafft sie dringend benötigten Wohnraum oder verbessert die finanziellen und organisatorischen Voraussetzungen der Kommunen.

  4. unterstreichen die Stellungnahme des Europäischen Ausschusses der Regionen zur Umsetzung der Vergaberichtlinien, wonach lokale und regionale Gebietskörperschaften auch das lokale Wirtschaftswachstum und örtliche Strukturen zum Zwecke des Klimaschutzes und einer positiven Umweltbilanz durch regionale Vermarktungsströme statt langer Transportwege (z. B. „Holz von hier“) im Sinne des sogenannten Prinzips „buy local“ fördern können sollen.

  5. befürworten ein überörtliches und naturraumbezogenes Klima- und Kompensationsmanagement als Beitrag zu einem maßvollen Flächenverbrauch in Stadt und Land sowie zu einer klimaoptimierten Bodennutzung. Bestehende Nutzungskonflikte des nach Naturschutzrecht erforderlichen Ausgleichs können insbesondere mit agrarstrukturellen Erfordernissen und einem möglichst geringen bürokratischen Aufwand so besser in Ausgleich gebracht werden.

  6. erklären, dass zusätzlich zur Nutzbarmachung von Leerständen, von Entsiegelungsmaßnahmen, von gebäude- und agrarintegrierten EE-Produktionsstandorten sowie von projektintegrierter Kompensation zusätzliche Synergieeffekte zugunsten des Klimaschutzes erschlossen werden können, soweit insbesondere Flächentausch- und Flächenmanagementmaßnahmen gefördert sowie natürliche CO2-Speicher, wie Moore, Wälder und Humusböden, strategisch einbezogen und zur Kompensation herangezogen werden.

  7. unterstützen das Ziel von schnelleren und effizienten Genehmigungsverfahren nicht durch Verfahrensverzicht oder Genehmigungsfiktion, sondern durch die Ermöglichung einer vollständig digitalen und zeitgleichen Verfahrensabwicklung mittels Etablierung einer bayernweiten Plattform für Fachstellenbeteiligung und digitale Behördenzusammenarbeit sowie durch Erhöhung der Antragsqualität mittels Überprüfung der einschlägigen berufsrechtlichen Anforderungen an Planer und Prozessbeteiligte. Handlungspotentiale bestehen zudem auf Ebene der bautechnischen Vorschriften. Inkonsistenzen und Widersprüche zwischen europäischem Bauproduktenrecht und nationalem Bauwerksrecht führen nicht nur zu Mehrkosten und Rechtsunsicherheiten für die Bauwirtschaft, sie verkomplizieren auch die bautechnische Prüfung und verlängern damit die Verfahrens- und Projektlaufzeit.

  8. erkennen an, dass sich die Einsparziele für Treibhausgasemissionen im Verkehrssektor nur durch einen Umstieg auf klimaschonende Antriebstechniken unter Verwendung regenerativer Energieträger, den Ausbau des SPNV und ÖPNV sowie Strategien zur Verkehrsverlagerung und Verkehrsvermeidung erreichen lassen. Der dafür erforderliche Aufbau eines attraktiven, grenzüberschreitenden Tank- und Ladesäulennetzes sowie der Ausbau und die Elektrifizierung der Schieneninfrastruktur muss von Bund und EU im Ballungs- wie im ländlichen Raum zügig umgesetzt werden, ebenso wie die Vorhaltung einer flächendeckenden digitalen Infrastruktur. Im Interesse gleichwertiger Lebensverhältnisse darf die Entwicklung nicht allein dem Markt überlassen werden, sondern ist die Versorgungssicherheit in der Fläche durch geeignete Maßnahmen zu gewährleisten. Die neuen Gruppenfreistellungen in der allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung, mit denen der Bau, die Installation oder die Modernisierung der Lade- oder Tankinfrastruktur zur Versorgung von Fahrzeugen mit Strom oder erneuerbarem Wasserstoff ohne langwierige Vorab-Notifizierung bei der EU-Kommission finanziert werden können, sind insofern zu begrüßen. Bis zum vollständigen Ausbau des ÖPNV und dem Vollzug der Antriebswende ist den finanziellen Mehrbelastungen gerade der Menschen im ländlichen Raum, die über keine vergleichbaren Alternativen zur Befriedigung ihrer Mobilitätsbedürfnisse verfügen, durch eine Erhöhung der Pendlerpauschal Rechnung zu tragen.

  9. erwarten vom Freistaat zur Erschließung aller größeren Orte eine deutliche Ausweitung des SPNV-Angebots und - wo Streckenreaktivierungen an wirtschaftliche Grenzen stoßen oder bisher Bahnanbindungen fehlen - die Einrichtung landesbedeutsamer Buslinien und flexibler, zeitgemäßer Angebote. Zudem streben die Landkreise eine deutliche Verbesserung des ÖPNV-Angebots an. Der verstärkte ergänzende Einsatz von Linienbedarfsverkehren (On-Demand-Verkehren) - insbesondere in der Fläche - und eine Erhöhung der Beförderungskapazitäten in den Ballungsräumen sind neben einer Vernetzung aller Verkehrsträger nötig, um die seitens der Verkehrsministerkonferenz geforderte Verdoppelung der Fahrgastzahlen im ÖPNV zu erreichen. Die Landkreise werden hierzu einen eigenen Beitrag leisten, sind jedoch auf eine massive Erhöhung insbesondere der Regionalisierungsmittel des Bundes und der ÖPNV-Zuweisungen des Freistaats angewiesen. Drittfinanzierungsmittel können ein sinnvoller Beitrag sein, um die Finanzierungslücken zu schließen und die Verkehrsbelastung zu regulieren. Der flächendeckende Ausbau des ÖPNV-Angebots muss Vorrang gegenüber der Einführung von sehr günstigen Flatrate-Tarifen haben, die bei hohem Finanzierungsaufwand für den Angebotsausbau das bestehende Defizit in der ÖPNV-Finanzierung zusätzlich vergrößern.

  10. betonen die Bedeutung des Radverkehrs für das Gelingen der Mobilitätswende und für eine vernetzte Mobilität in der Erwartung, dass Land und Bund entlang von Bundes- und Staatsstraßen Radwege selbst ausbauen, die Fahrradmitnahme im Bahnverkehr erleichtern und durch eine Verstetigung der Förderung des Radverkehrs die Gemeinden, Städte und Landkreise über 2023 hinaus insbesondere finanziell unterstützen, um kreisweite bzw. kreisübergreifende Fahrradkonzepte gemeinsam fortentwickeln und ausbauen zu können.

  11. betonen, dass sich die Auswirkungen des Klimawandels regional manifestieren und das Gelingen von Klima-, Energie- und Verkehrswende wesentlich von der Akzeptanz vor Ort sowie klar abgrenzbaren Zuständigkeiten von Staat und Kommunen abhängt. 70% der bayerischen Bevölkerung lebt in kreisangehörigen Räumen. Dies bedeutet, dass unvermeidbare Lasten, die insbesondere im ländlichen Raum anfallen, durch Entlastungsmaßnahmen zur Gewährleistung gleichwertiger Lebensverhältnisse (Verbesserung der digitalen Infrastruktur, der medizinischen Versorgung, ÖPNV-Ausbau, etc.) auszugleichen sind, Wertschöpfungspotenziale in den Landkreisen realisiert werden müssen und der ökologische Ertrag der Klimaschutzmaßnahmen vor Ort verbleiben sollte. Die Klimaziele dürfen nicht - auch nicht faktisch - bis auf die kreisliche Ebene delegiert werden, ohne konkrete Aufgaben zu definieren sowie notwendige Strukturen und Ausgleiche zu schaffen. Insbesondere muss klar sein, welche Rolle der Staat den Landratsämtern zukommen lässt, sprich, ob sie neben den im eigenen Wirkungskreis bestehenden Aufgaben der Landkreise auch staatliche Aufgaben wahrnehmen sollen oder sich aus eigenem Antrieb zu Gunsten von Klimaschutz und Netzstabilität energiewirtschaftlich betätigen dürfen.

  12. stellen fest, dass die Intensivierung der Anstrengungen zur Erreichung der Klimaziele bereits für die bestehenden Aufgaben nur durch Sicherstellung einer leistungsfähigen Personal- und Finanzausstattung der kreislichen Ebene erfolgreich umgesetzt werden kann, die Finanzierung von Klimaschutzmaßnahmen sowie des hierfür notwendigen Personals gegenwärtig aber stark projektgebunden ist und vor allem über Fördermittel des Bundes erfolgt. Wiederkehrende Antragsverfahren mit kurzer Projektlaufzeit widersprechen der Daueraufgabe Klimaschutz, dem einhergehenden Erfordernis von Planbarkeit und Rechtssicherheit und führen zu einem ineffizienten Verwaltungsaufwand der in doppelter Weise Ressourcen bindet, um sich selbst zu verwalten. Die Übertragung eventueller neuer Aufgaben sowie eine Erweiterung bestehender Aufgaben aufgrund von europa- oder bundesrechtlichen Vorschriften muss sich zudem stets am Verbot des Aufgabendurchgriffs messen lassen und auf Landesebene konnexitätskonform ausgestaltet werden.

  13. mahnen an, dass der bestehende Rechtsrahmen auf EU-, Bundes- und Landesebene den Zielen des Klimaschutzes und der CO2-Reduktion teilweise entgegensteht, indem er in wesentlichen Bereichen, wie beispielsweise in den Sektoren Bau, Verkehr und Energie, regionale Strukturen behindert oder Synergieeffekte ungenutzt lässt. Unter anderem erfordern der Erhalt der Netzstabilität als auch die Ziele der Entwicklung und Sicherstellung einer gemischt zentral-dezentralen Energie- und Wärmeversorgung eine landkreisweite Betrachtung sowie die Möglichkeit zur Teilhabe.

  14. fordern dazu auf, Ziele und Maßnahmen an den unterschiedlichen Bedürfnissen und den Herausforderungen von Stadt und Land zu orientieren und unter Einbeziehung und Mitsprache der Landkreise flexibel auszugestalten. Die Maßnahmen und Ziele müssen zudem in Einklang gebracht werden mit dem bestehenden sozialen Gefüge, wirtschaftlicher Entwicklung, Sicherung von Wohlstand und industrieller Wertschöpfung. Das Einsparpotential konkreter Klimamaßnahmen muss in Bezug auf die jeweiligen Stückkosten vergleichbar sein, ihre Anerkennungsfähigkeit muss rechtsverbindlich feststehen.

  15. fordern Bund und Länder in Anerkennung ihrer föderalen Verantwortung dazu auf, die Finanzierung der notwendigen Klimaschutzmaßnahmen und damit einhergehenden Aufgaben auf Ebene der Landratsämter durch die Schaffung unbefristeter Personalstellen sowie auf kreislicher Ebene mittels einer grundständigen Mittelzuweisung dauerhaft zu verstetigen. EU, Bund und Staatsregierung sind aufgefordert, die Landkreise hierzu unmittelbar an den aus der CO2-Bepreisung, dem CO2-Grenzausgleichsmechanismus und der Energiebesteuerung entstehenden Erlösen durch Etablierung neuer Finanzströme angemessen zu beteiligen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen